Die Wing Tsun – Legende
Das Shaolin Kloster
Die Geschichte dieses Kung Fu-Stiles beginnt vor mehr als 300 Jahren im Alten China.
In einem südlich gelegenen Shaolin-Kloster, welches am Fuße des Berges Song Shan lag,
wurde der Kern für diese und noch andere Kampf- bzw. Kriegskünste gesetzt.
Die Mönche dieses Klosters wurden aufgrund ihrer Kampffähigkeiten sehr berühmt.
Sie genossen das Ansehen und waren sehr beliebt bei der Bevölkerung.
In dieser Zeit regierte die Qing-Dynastie (1644-1911) mit dem Kaiser Kangxi an der Spitze.
Nachdem der Kaiser von den Taten und Geschichten über die Mönche hörte, fühlte er sich
in seiner Position bedroht und machte sich große Sorgen um seinen weiteren politischen
Einfluss. So sah er nur einen Weg das Problem zu lösen. Der Kaiser beschloss die dort
lebenden Mönche zu töten, und das südliche Kloster zu zerstören. Der Angriff auf den
Tempel misslang jedoch, weil die Mönche einen starken Widerstand leisteten und konnten
somit das Kloster verteidigen.
Nach dem gescheiterten Versuch die Mönchgemeinschaft auszulöschen kam einem anderen
Regierungsbeamten eine Idee, wie sie den Plan doch umsetzen könnten.
Er überredete ein Paar Mönche ihre eigenen Brüder zu verraten und den Tempel von innen
in Brand zu setzen. Diesmal kamen die meisten Bewohner ums Leben und das Kloster
wurde größtenteils zerstört. Diejenigen die es überlebt haben, mussten sich voneinander
trennen um der Mandschu-Regierung leichter zu entkommen. Zu diesem Zweck gingen sie
in verschiedene Richtungen des Landes. Unter denjenigen, die den Flammen entgehen
konnten waren die buddhistische Meisterin Ng Mui, Meister Chi Shin, Meister Pak Mei,
Meister Fung To Tak, und Meister Miu Hin und einige seiner Schüler.
Diese Meister waren Führer der fünf führenden Shaolin-Stile im Kloster, deswegen nannte
man sie die "Fünf Älteren“.
Ng Mui entwickelt einen neuen Kampfstil
Am Fuße des Tai Leung-Berges, der an den Provinzen Yunnan und Szechwan grenzte, gab
es ein anderes Kloster, in dem die Nonne Ng Mui Zuflucht gefunden hat.
Es war der Tempel des Weißen Kranichs. Hier konnte sie sich weiter auf die Kampfkunst und
die Chan-Meditation konzentrieren. Sie beschloss ebenfalls neue Techniken zu entwickeln,
um sich noch besser vor Angriffen der ihr schon bekannten Kung Fu-Stile zu schützen.
Als sie eines Tages meditierte, wurde sie Zeugin eines Überlebenskampfes zwischen einem
Kranich und einem Fuchs (in anderen Versionen berichtet man von einem Kranich und einer
Schlange). Der körperlich stärkere Fuchs sprang immer wieder zum Hals des Kranichs,
der sich immer frontal dem Fuchs wendete und seine Attacken mit dem Flügel abwährte,
um gleichzeitig mit seinem Schnabel zu kontern. Diese Beobachtung brachte sie auf die
entscheidende Idee.
Yim Wing Tsun, die erste Schülerin
Eines Tages, als Ng Mui an einem Marktplatz des nahegelegenen Dorfes einkaufte, lernte
sie ein junges Mädchen namens Yim Wing Tsun (was so viel wie „schöner Frühling“
bedeutet) und deren Vater Yim Yee kennen. Yim Yee und seine Tochter hatten dort einen
Verkaufstand, auf dem sie Tofu verkauften. Die Mutter Yim Wing Tsuns war gestorben und
der Vater war auf der Flucht, weil er zu Unrecht in eine Sache verwickelt und beschuldigt
wurde. Zu dieser Zeit war Yim Wing Tsun mit einem Salzhändler aus der Fukien - Provinz
namens Leung Bok Chau verlobt. In der Gegend, wo Yim Wing Tsun lebte gab es viele
junge Männer, die sich aber trotz der Verlobung für das hübsche Mädchen interessierten.
Einer wurde besonders auf die Schönheit der jungen Frau aufmerksam. Es war ein Mann
namens Wong, der ein ortsbekannter Schläger und Angeber war. Er drohte ihr sogar
Gewalt an, wenn sie sich nicht für ihn entscheiden würde. Das Mädchen wurde jeden Tag
vom Wong mit ständigen Drohungen ihn zu heiraten belästigt. Um sich durchzusetzen war
ihm jedes Mittel recht. Das machte Yim Wing Tsun und ihren Vater sehr traurig, denn sie
wussten nicht, wie sie das Problem lösen können und lebten seitdem in ständiger Angst.
Als Ng Mui mal wieder zum Einkaufen gekommen war merkte sie, dass die Beiden in
Schwierigkeiten steckten. Der Yim Yee erzählte ihr ihre traurige Geschichte und bat sie um
Hilfe. Ng Mui zeigte dafür Verständnis und wollte, dass hier die Gerechtigkeit siegt.
Sie nahm die Yim Wing Tsun mit und unterrichtete sie heimlich in den neuen Techniken.
Das Gelernte sollte gegen den Bösewicht Wong angewandt werden, um ihn von der
Heiratsidee abzuhalten. Nach einer bestimmten Zeit des fleißigen Übens war es soweit und
das Mädchen konnte zu ihrem Vater nach Hause zurückkehren. Als der Wong es erfahren
hat, dass Yim Wing Tsun wieder zu Hause ist, kam er erneut und fang den Beiden wieder zu
drohen. Diesmal aber verlief sein Besuch völlig anders als er erwartet hätte. Die Yim Wing
Tsun hat ihn zu einem Zweikampf herausgefordert. Die Frechheit der jungen Dame war für
ihn zu viel, und er wollte ihr eine „Lektion“ erteilen. Er war sich natürlich des Sieges über eine
schwache Frau sicher und nahm die Herausforderung gerne an. Zu seiner Überraschung
schlug sie den aufdringlichen Gegner zu Boden, wo er regungslos liegen blieb.
Nach der Niederlage hat der Wong aufgegeben sich weiter um Yim Wing Tsuns Hand zu
bemühen. Die Nonne Ng Mui hörte von dem Kampf und war sehr stolz auf ihre Schülerin.
Sie wusste jetzt, dass Yim Wing Tsun die ihr gezeigten Techniken beherrscht.
Ng Mui beschloss also weiter durch das Land zu ziehen. Während dem Abschied
ließ sie das Mädchen versprechen das neue System fleißig zu üben, und auch einen
vertrauenswürdigen Nachfolger zu finden. Yim Wing Tsun hat schließlich ihren Verlobten
Leung Bok Chau geheiratet und an ihn diese Kampfkunst weitergegeben. Nachdem ihr
Gatte erfahren hat, dass dieser Kung Fu–Stil noch namenlos ist, gab er ihm zu ehren seiner
Frau den Namen Wing Tsun Kuen.
Leung Lan Kwai und die Schauspieler der “Roten Dschunke“
Nachdem der Leung Bok Chau selbst ein Experte dieses Systems geworden ist, gab er die
gelernten Techniken an Leung Lan Kwai weiter. Dieser war vom Beruf ein Kräuter- und
Knochenarzt. Leung Lan Kwai zeigte aber kein Interesse diese Kunst weiter zu geben.
Doch dann lernte er jemanden kennen der als Schauspieler einer Opernschautruppe am
Bord einer „Roten Dschunke“(ein chinesisches Boot, das üblich mit roter Farbe gestrichen
und mit bunten Fahnen geschmückt war) arbeitete. Sein Name war Wong Wah Bo.
Er konnte Leung Lan Kwai überzeugen, dass er der Richtige ist, um ihn in Wing Tsun zu
unterrichten. Der Leung Lan Kwai gab also sein Wing Tsun an Wong Wah Bo weiter.
Wong Wah Bo und der Leung Yee Tai
Zu der Schiffsmannschaft gehörte ebenfalls ein Mann namens Leung Yee Tai, der dort als
Ruderer arbeitete und die Aufgabe hatte, mit einer langen Stange das Boot zu führen.
Er beherrschte sehr gut die Shaolin Langstock-Technik (Luk Dim Boon Kwun oder 6 ½
Punkt-Langstock-Technik genannt). Dies behauptete er von dem Koch des Schiffs erlernt zu
haben, der in Umgang mit dieser Waffe ein wahrer Meister war. Der Geheimnisvolle Koch
war aber kein Unbekannter, sondern es war Meister Chi Shin der sich aus dem Shaolin-
Kloster am Song-Berg retten konnte und wegen der Verfolgung diese Identität annehmen
musste. Während die Schauspieltruppe keinen Auftritt hatte, nutzte die Besatzung ihre
Freizeit und sie übten sich in der Kampkunst. Wong Wah Bo übte fleißig Wing Tsun und
Leung Yee Tai bewegte geschickt sein Langstock. Sie bewunderten sich gegenseitig und
wurden Freunde. Dann pflegten sie sehr oft zusammen zu trainieren. So kam es dazu,
dass sie ihre Techniken gegenseitig austauschten. Die Langstock-Techniken wurden den
Prinzipien des Wing Tsun angepasst und in das System integriert. Ab jetzt waren nicht nur
die Doppelmesser (Bart Cham Dao), sondern auch der Langstock ein fester Bestandteil
dieses Stils.
Leung Jan, der Kräuterarzt
In der Kwantung-Provinz der Stadt Fatshan (Foshan) lebte und arbeitete ein bekannter und
hochgeschätzter Kräuterarzt namens Leung Jan. Er betrieb dort eine Kräuter-Apotheke und
behandelte medizinisch die Leute. Leung Jan lernte vom Leung Yee Tai alle Geheimnisse
des Wing Tsun und brachte sein Können zur Perfektion. Dies verbreitete sich im ganzen
Land, und es dauerte nicht lange bis die ersten Herausforderer, aufgrund seines Rufes ihn
testen wollten. Keiner von ihnen konnte jedoch Leung Jan besiegen. Alle Herausforderungen
hat er mit Leichtigkeit gewonnen, so dass man von ihm als „König des Wing Tsun“ sprach.
Leung Jan wollte aber, trotz seines meisterlichen Könnens nicht seine ärztliche Tätigkeit
aufgeben, um sich nur dem Wing Tsun zu widmen. Deswegen fand er nur Zeit für seine
beiden Söhne Leung Bik und Leung Tsun und noch ein Paar andere Schüler, um sie
regelmäßig im Wing Tsun zu unterrichten. Der ältere Sohn, Leung Bik besaß jedoch noch
nicht die Reife, um die Aufgabe als Nachfolger seines Vaters zu übernehmen.
Das sollte dem besten Schüler Leung Jans zustehen. Sein Name war: Chan Wah Shun.
Chan Wah Shun, der Geldwechsler
Chan Wah Shun war Besitzer einer Geldwechselstube in Fatshan, die neben der Leung Jans
Apotheke stand. Die Leute nannten ihn deswegen „Wah der Geldwechsler“. Er hat sich
sehr für das Kung Fu interessiert, und war ständig auf der Suche nach einem geeigneten
Kung Fu-Meister. Chan Wah Shun wusste, dass Leung Jan seinen Erwartungen entsprach,
aber er traute sich nicht ihn anzusprechen. Deswegen schlich er sich immer abends an die
Apotheke, und schaute durch einen Schlitz an der Tür zu, wie Leung Jan unterrichtet.
Er kannte einen der Schüler des Meisters, den man „Wah der Holzmann“ nannte. Einmal
während der Abwesenheit Leung Jans, brachte „Wah der Holzmann“ seinen Bekanten mit
zum Üben. An dem Tag war Leung Tsun, der jüngere Sohn des Meisters für das Training
verantwortlich. Im Gespräch hat sich herausgestellt, dass der Chan Wah Shun schon
längere Zeit unerlaubt dem Unterricht seines Vaters zuschaute. Daraufhin wollte Leung Tsun
den Fremden testen, um ihm zu beweisen, dass er nicht viel durch den Türspalt gelernt
haben konnte. Zur Überraschung aller, traf Chan Wah Shun den Leung Tsun so unglücklich,
dass er bei seinem Sturz das Bein des Lieblingsstuhls seines Vaters brach.
Das alles kam heraus, als sich Leung Jan mal wieder auf seinem bevorzugtem Sessel
setzen wollte, und der zur Seite kippte. Er musste erfahren, dass ohne sein Wissen ein
Fremder in der Apotheke war und dass der Leung Tsun sogar gegen ihm im Kampf verloren
hat. Jetzt war er neugierig und wollte den Unbekannten kennenlernen. Chan Wah Shun
konnte den Meister Leung Jan von seinem Können überzeugen und wurde von ihm als
Schüler akzeptiert. Er ist mit der Zeit der beste Student geworden und so kam es, dass Chan
Wah Shun der Nachfolger Leung Jans wurde.
Yip Man
Im alter von etwa elf Jahren ist Yip Man (Ip Man) Schüler Chan Wah Shuns geworden.
Er lernte unter seinem Sifu („väterlicher Lehrer“) zwei Jahre lang diese Kampkunst.
Als Chan Wah Shun starb bekam Yip Man vom deren ältesten Schüler Ng Chung So noch
drei weitere Jahre Unterricht. Dann verließ er mit sechzehn Jahren seine Stadt Fatshan und
ging nach Hongkong. Dort fing er an der St. Stephen’s Schule zu studieren. Als junger Mann
war Yip Man derjenige, der den Streit immer wieder suchte und oft in den verschiedenen
Straßenkämpfen mitgemacht hat. Das brachte ihm keinen besonders guten Ruf.
Eines Tages lernte Yip Man durch einen Freund einen älteren Mann, der behauptete ihn
zu besiegen, wenn er mit ihm kämpfen würde. Er sagte sogar Yip Man, dass er sich nur
auf die Verteidigung konzentrieren würde, um ihn nicht zu verletzen. Das verärgerte Yip
Man, weil er niemals gewohnt war zu verlieren. An diesem Tag sollte sich aber Yip Mans
Kampfkunstansicht, was Wing Tsun anbetrifft ändern. Der unbekannte alte Mann hat Yip
Man mühelos besiegt. Yip Man konnte es nicht begreifen, wie das nun möglich sein konnte,
und fragte seinen Herausforderer wo er sein Wing Tsun gelernt hat. Im Gespräch stellte sich
heraus, dass es sich um den älteren Sohn Leung Jans, Leung Bik handelte.
Leung Bik war ein penibler Wing Tsun Lehrer, welcher die angewandten Techniken immer
wieder auf ihre Effizienz analysierte und sich Gedanken über die Gesamtidee des Wing
Tsun machte. Yip Man bat ihn um Unterricht und er willigte zu. Die Unterrichtsmethoden, die
Leung Bik verwendete waren jedoch völlig anders, als er das vom Chan Wah Shun kannte.
In drei Jahren eines harten Trainings bei seinem zweiten Sifu hat auch Yip Man seine Wing
Tsun Technik zur Perfektion gebracht. Das Gesamte was er gelernt hat, und später seinen
Schülern beibrachte, verdankte Yip Man also seinen beiden Lehrern.
Nach der Rückkehr aus Hongkong erwartete ihn bald die japanische Invasion in China.
Seine Heimatstadt Fatshan wurde von den Japanern belagert und Yip Man verlor dabei sein
Haus und sein ganzes Vermögen. Sie wollten sogar, dass er die japanischen Soldaten in
Kung Fu unterweist. Er lehnte es aber ab, und machte sich deswegen Feinde. Um Yip Man
zu erniedrigen, forderte auf Anweisung der Japaner, ein anderer Meister ihn heraus.
Yip Man wollte zuerst nicht kämpfen, aber als großer Patriot fühlte er sich dazu verpflichtet.
Er nahm die Herauforderung an und gewann die Auseinandersetzung mit Bravur.
Aus diesem Grund musste er aus Fatshan flüchten. Erst dann, als die Invasoren aus der
Stadt wieder gingen, kam auch Yip Man in seine Heimatstadt wieder zurück. Er wurde
dort als Polizei-Kommissar eingestellt und hat bei der Arbeit sehr gute Erfolge erzielt. Von
dieser Zeit stammen ein Paar Erzählungen über seine Taten. Im Jahre 1949 wurde der
Kommunismus in China eingeführt und Meister Yip musste zum erneuten Mal die Stadt und
sogar seine Familie verlassen. Das Ziel war wieder die Großstadt Hongkong. Notgedrungen
musste Yip Man hier jetzt Wing Tsun-Lektionen geben, um einen gewissen Lebensstandard
halten zu können. Immer mehr Leute wollten seine Schüler werden, um die Kunst des Wing
Tsun zu erlernen. Zum Schluss hat Yip Man sehr viele Wing Tsun-Studenten gehabt, die ihn
die weiteren Jahre fleißig begleiteten. Er war der letzte Großmeister aller Wing Tsun (Wing
Chun) –Stile.
Nach einer Zeit holte Yip Man auch seine Familie nach Hongkong, wo er weiterlebte und
unterrichtete bis zu seinem Tod am 2. Dezember 1972.
Großmeister Yip Man und der junge Bruce Lee
Unter den Schülern Yip Man’s lernte auch Bruce Lee (kant. Lee Siu Loong) die Wing Tsun
Kampfkunst. Die Bekantschaft mit dem Großmeister Yip Man machte er in Hongkong,
als er dort das St. Francis College besuchte. Sein Vater Lee Hoi Chuen war mit Yip Man
befreundet, da die Beiden Flüchtlinge aus Fatshan waren. Bruce Lee zeigte sehr viel Ergeiz
und Fleiß bei seinem Wing Tsun Studium, so dass sich Yip Man bei ihm besondere Mühe
machte. Später ging Bruce Lee nach Amerika um weiter zu studieren. Dort erkannte man
auch sein schauspielerisches Talent und lernte ihn als Kampfkunst-Experten schätzen.
Er wurde durch seine Kung Fu Filme auf der ganzen Welt berühmt. Nach einer Zeit gründete
er auf der Basis von Wing Tsun seinen eigenen Kampfkunststil, den man Jeet Kuen Do
nennt.
Am 20. Juli 1973 verstarb Bruce Lee unerwartet mit nur 32 Jahren an den Folgen eines
Gehirnödems in Hongkong. Bei vielen Kampfkunstbegeisterten ist er bis heute eine Ikone
des Kung Fu.